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AutorenbildBirgit Fuß

FUSSNOTEN

Kettcar: „Zwischen den Runden“ (Grand Hotel van Cleef)

Vor einigen Tagen stand ich wieder in Ohlsdorf, auf dem größten Parkfriedhof der Welt, in der schönsten Stadt der Welt (Hamburg natürlich), und starrte auf das Grab. Fünf Jahre ist mein Liebster jetzt schon tot, und auch wenn diese Todestage tatsächlich leichter werden, sind sie immer noch so, so schwer. Da kann ich mir noch so oft sagen, dass weltliche Dinge wie ein Datum für uns doch nichts mehr bedeuten, dass Liebe unendlich ist und so weiter. Anfang Januar spiele ich Jahr für Jahr in meinem Kopf ständig die letzten Tage durch, die letzten Stunden, die letzten Minuten – ich mache das gar nicht wirklich selbst, mein Gehirn spult es einfach von allein ab.

Immerhin kann ich mir inzwischen die paar Momente verzeihen, die ich gern im Nachhinein ändern würde, und ich habe mir auch vergeben, dass ich ihn nicht retten konnte. Ich bin dankbar, dass ich ihn begleiten durfte, ihm so nahe sein durfte, dass er mich „mein Engel“ genannt hat (und nein, in diesem Augenblick war das überhaupt nicht kitschig). Nach fünf Jahren überwiegt die Dankbarkeit, aus der überwältigenden Verzweiflung ist eine sanftere Wehmut geworden. Die Trauer bleibt, denn solange ich lebe, werde ich ihn niemals nicht vermissen.

An diesem Januartag 2022 war es kalt und nass (die schönste Stadt der Welt hat leider nicht das schönste Wetter der Welt), so dass ich nicht sehr lange an seinem Grab bleiben konnte – ich saß ein bisschen auf unserer Bank, zündete wie jedes Mal eine Kerze an und ließ ihm ein kleines Geschenk da. Auf dem Heimweg kam mir ein Lied in den Sinn, das von einer Beerdigung auf eben diesem Friedhof erzählt: „Zurück aus Ohlsdorf“ von Kettcar.


„Ich war spät und rutschte hinten in die unbesetzten Reihen/

Es waren nicht viele gekommen, und vorne stand jemand allein/

Und er erzählte etwas hölzern die Geschichte eines Lebens/

Von dem ich nicht viel wusste, nur dass es kurz war – und der Kampf darum vergebens.“


Marcus Wiebusch singt das alles so unaufdringlich, ohne blödes Pathos, wie ein Hamburger eben, und genau deshalb kommen einem sofort die Tränen. Da stirbt also einer an einem Gehirntumor - einer, den der Erzählende lange nicht mehr gesehen hatte – man hatte sich halt auseinandergelebt. Geht man dann trotzdem zum Begräbnis? Die Mutter freut sich, der frühere Freund hat ein schlechtes Gewissen. Was habe ich alles verpasst, warum war ich nicht da? Er erinnert sich ein bisschen, wie wir das bei Trauerfeiern halt so machen, wenn wir mit den Gestorbenen nicht so eng verbunden sind, dass wir einfach wie betäubt dasitzen und gar nichts verstehen. Was hier bleibt, ist ein leises Bedauern:


"Er sah immer noch gut aus, wie er so friedlich da lag, in seinem/

Schwarzen Anzug, in dem hellen Sarg. Als würde er gleich zu mir sagen:

Schmeiß die Blumen weg, und raus durch die Tür/

Lass uns noch einmal um die Häuser ziehen wie früher…“


Auf demselben Kettcar-Album, „Zwischen den Runden“ (2012), sind noch mehr Songs, die so wunderbar lakonisch vom Leben erzählt, das wir besser nicht vergeuden sollten, und vom Tod, der nie so weit weg ist, wie wir das gern hätten. Am allerschönsten fand ich immer das Resümee von „In Deinen Armen“, das von einer kaputten Beziehung erzählt und was alles schiefgehen kann und wie schlimm oft gerade die uns verletzen, die wir am meisten lieben. Und dann hört dieses traurige Lied auf mit den Zeilen:


„Und in Deinen Armen/

Hab ich einfach still gelegen/

Und ich ließ mich fallen und sagte nur:

Lass uns einfach alles geben!“


Die Liebe ist immer stärker als alles andere. Und ja, auch als der Tod. Vor allem als der Tod.

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